top of page
Berge

Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll

Aktualisiert: 17. Nov.

Unangenehme Gespräche gehören zu den zentralen Brennpunkten menschlicher Zusammenarbeit. Und gleichzeitig sind sie eine der größten Vermeidungszonen – im beruflichen Kontext ebenso wie privat. Der Satz „Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll“ ist deshalb kein Randphänomen, sondern einer der häufigsten inneren Monologe vor genau solchen Momenten. Hinter ihm steckt weit mehr als nur „fehlende Worte“. Es geht um Identität, Beziehung, Macht, Verletzbarkeit und Verantwortung. Sie kennen das? Vereinbaren Sie einen Termin mit mir:


Erstgespräch
15 Min.
Jetzt buchen

Im Folgenden stelle ich kurz dar:

  • Was genau macht Gespräche „unangenehm“?

  • Warum fehlen scheinbar die Worte – selbst bei intelligenten, kommunikationsstarken Menschen?

  • Welche inneren und äußeren Dynamiken sind am Werk?

  • Und wie kann man unangenehme Gespräche so vorbereiten und führen, dass sie klar, respektvoll und tragfähig werden?


1. Was „unangenehme Gespräche“ so unangenehm macht

Unangenehm ist ein Sammelbegriff. Dahinter können sehr unterschiedliche Konstellationen stehen:

  • Kritik an Verhalten oder Leistung

  • Rückmeldungen zu Grenzverletzungen

  • das Ansprechen von Enttäuschung oder Vertrauensverlust

  • Entscheidungen, die andere belasten (z. B. Absagen, Umstrukturierungen, Trennungen)

  • persönliche Themen: Überlastung, Rückzug, Konflikte, Bedürfnisse

Allen ist gemeinsam:

Es gibt etwas, das wahr ist, das eigentlich gesagt werden müsste, das aber Risiken für die Beziehung birgt.

Genau diese Kombination – Wahrheit, Notwendigkeit und Beziehungsrisiko – macht den Knoten.

Es ist nicht nur das Thema, sondern die Verknüpfung aus:

  • Inhalt

  • Beziehung

  • Macht / Abhängigkeit

  • eigener Verletzbarkeit


2. „Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll“ – was dahinter wirklich steckt

Der Satz klingt sprachlich. In Wirklichkeit ist er fast nie ein linguistisches Problem. Die meisten Menschen finden problemlos Worte, wenn es um neutrale oder positive Inhalte geht.

Hinter „Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll“ stehen typischerweise mehrere Ebenen:

2.1 Angst vor der Reaktion
  • Angst vor Wut oder Gegenangriff

  • Angst vor Rückzug oder Beziehungskühlung

  • Angst vor Tränen, emotionaler Überforderung

  • Angst vor Machtfolgen (Karriere, Standing, Sympathie)

Das Unsagbare ist häufig das mit unvorhersehbaren Konsequenzen.

2.2 Loyalitätskonflikt

Unangenehme Gespräche berühren fast immer Loyalitäten:

  • Loyalität zur Beziehung (ich will den anderen nicht verletzen)

  • Loyalität zur Sache (ich muss es ansprechen)

  • Loyalität zu sich selbst (ich will mich nicht verleugnen)

Diese Loyalitäten sind selten gleichzeitig erfüllbar. Das erzeugt innere Zerrissenheit – und diese übersetzen wir in: „Ich weiß nicht, wie…“

Es fehlt nicht an Formulierungen, sondern an einer entscheidbaren inneren Reihenfolge der Loyalitäten.

2.3 Rollenunklarheit

Menschen sind nicht einfach „Personen“, sondern tragen Rollen: Vorgesetzte, Kollegen, Freunde, Partner, Elternteil, Kind, Projektleitung, Mandatsträger etc.

Typische innere Sätze:

  • „Als Kollege will ich verständnisvoll sein, als Führungskraft muss ich klar sein.“

  • „Als Kind will ich loyal sein, als erwachsene Person muss ich Grenzen setzen.“

Solange nicht klar ist, aus welcher Rolle heraus ich spreche, wird jede Formulierung wackelig.

2.4 Eigenes Konflikt- und Biografiemuster

Viele haben nie gelernt, dass schwierige Gespräche konstruktiv sein können. Häufige Prägungen:

  • Streit als laut, verletzend, unkontrolliert erlebt

  • Konflikte wurden in der Herkunftsfamilie vermieden oder tabuisiert

  • Kritik wurde mit Liebesentzug oder Sanktion verbunden

  • Gefühle durften nicht offen gezeigt werden

Diese Erfahrungen werden verinnerlicht: „Wenn es heikel wird, wird es gefährlich.“

Das führt zu einem emotionalen Kurzschluss: Sobald ein Gespräch in die „unangenehme Zone“ rutscht, aktiviert sich ein altes Alarmprogramm.


3. Typische Strategien, um unangenehme Gespräche zu vermeiden (und warum sie teuer sind)

Wenn Menschen nicht wissen, wie sie etwas sagen sollen, greifen sie intuitiv zu Vermeidungsstrategien. Kurzfristig entlastend – langfristig hochproblematisch.

3.1 Aufschieben

„Ich spreche es später an.“ Später: nächste Woche. Nächsten Monat. Nie.

Folgen:

  • Der innere Druck steigt.

  • Das Thema wird größer, nicht kleiner.

  • Kleine Irritationen werden zu strukturellem Misstrauen.

3.2 Ausweichen auf Nebenthemen

Anstatt das eigentliche Thema anzusprechen (z. B. Vertrauensbruch), wird über Nebenschauplätze gesprochen: Prozesse, Missverständnisse, Technik, Termine.

Folgen:

  • Die eigentliche Verletzung bleibt unberührt.

  • Das Gespräch bleibt sachlich plausibel, aber menschlich leer.

  • Beide Seiten spüren: „Es geht eigentlich um etwas anderes.“

3.3 Ironie, Andeutungen, „Witzige“ Spitzen

Kritik wird verpackt in Humor, Sarkasmus oder Andeutungen.

Folgen:

  • Botschaften kommen „schief“ an.

  • Das Gegenüber fühlt sich angegriffen, aber nicht angesprochen.

  • Klärung wird unmöglich, weil nichts wirklich benannt ist.

3.4 Überanpassung und stiller Rückzug

Zur Vermeidung möglicher Eskalation wird alles geschluckt. Man funktioniert weiter, aber:

  • innerer Groll wächst,

  • Leistungsbereitschaft sinkt,

  • innere Kündigung oder Beziehungsabbruch werden wahrscheinlicher.


4. Was unangenehme Gespräche so bedeutsam macht: Sie sind Knotenpunkte

Unangenehme Gespräche sind nicht Randphänomene, sie sind Knotenpunkte im System:

  • Hier entscheidet sich, ob Vertrauen wächst oder erodiert.

  • Hier entscheidet sich, ob Konflikte bearbeitbar bleiben oder chronisch werden.

  • Hier entscheidet sich, ob Menschen sich als wirksam oder ausgeliefert erleben.

Wer nie lernt, unangenehme Gespräche zu führen, zahlt langfristig einen hohen Preis – beruflich wie privat.


5. Wie man „Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll“ systemisch entpacken kann

Bevor es um konkrete Formulierungen geht, ist es sinnvoll, die Situation innerlich zu sortieren.

Ein hilfreicher Zugang besteht aus vier Leitfragen:

5.1 Worum geht es mir wirklich?

Nicht: Was ist die perfekte Formulierung? Sondern:

  • Was ist der Kern dessen, was ich sagen möchte?

  • Geht es um Verhalten, um Wertschätzung, um Grenzen, um Verantwortung, um Enttäuschung, um Schutz?

  • Was wäre die eine Botschaft, die auf keinen Fall fehlen darf?

Je klarer dieser Kern, desto einfacher alles andere.

5.2 In welcher Rolle spreche ich?

Bin ich hier gerade:

  • Führungskraft oder Kollege?

  • Partner oder „Friedenserhalter“?

  • Auftragsverantwortlicher oder Privatperson?

Eine klare innere Rollendefinition verändert automatisch die Sprache.

5.3 Was ist mein Anliegen – nicht nur mein Ärger?

Unangenehme Gespräche werden zerstörerisch, wenn sie nur Ärger abladen. Sie werden kraftvoll, wenn sie ein Anliegen verfolgen:

  • Klarheit schaffen

  • Beziehung aufrechterhalten

  • Arbeitsfähigkeit sichern

  • Grenzen markieren, ohne zu entwürdigen

Die Frage: „Was soll nach dem Gespräch besser sein als vorher?“ ist zentral.

5.4 Welche Verantwortung habe ich – und welche nicht?

Ein häufiger innerer Fehler: Ich fühle mich verantwortlich für Inhalt und Reaktion des anderen.

Tatsächlich bin ich verantwortlich für:

  • meine Klarheit,

  • meinen Ton,

  • meine Haltung.

Nicht verantwortlich bin ich für:

  • die spontane emotionale Reaktion des Gegenübers.

Diese Trennung entlastet und ermöglicht überhaupt erst, in kritische Themen hineinzugehen.


6. Struktur für unangenehme Gespräche: Ein tragfähiger Rahmen

Es gibt keine „Checkliste, die immer funktioniert“. Aber es gibt eine Struktur, die in vielen Kontexten hilfreich ist, weil sie Beziehung und Klarheit verbindet.

6.1 Vorbereitung
  • Anlass klären: Was genau nehme ich wahr?

  • Konkrete Beispiele sammeln statt allgemeiner Vorwürfe

  • Eigenanteil reflektieren: Wo habe ich beigetragen oder nicht klar kommuniziert?

  • Rahmen wählen: Zeit, Ort, Störungsschutz

6.2 Einstieg – Kontakt vor Inhalt

Statt direkt mit dem Problem „in die Tür zu fallen“, hilft ein kurzer Beziehungs- oder Kontextanker:

  • „Ich möchte ein Thema ansprechen, das mir wichtig ist und das unsere Zusammenarbeit/unsere Beziehung betrifft.“

  • „Es fällt mir nicht leicht, darüber zu sprechen, aber ich halte es für wichtig.“

Damit entsteht:

  • ein Signal von Ernsthaftigkeit,

  • ein Minimum an psychologischer Sicherheit,

  • eine Einladung zur gemeinsamen Betrachtung.

6.3 Beschreibung statt Bewertung

Der zentrale Unterschied:

  • Bewertung: „Du bist respektlos.“

  • Beschreibung: „In der Besprechung gestern hast du X gesagt/getan – das habe ich als respektlos erlebt.“

Beschreibungen nutzen:

  • konkrete Situationen,

  • sichtbares Verhalten,

  • eigene Wahrnehmung.

Bewertungen machen das Gegenüber zur Person, die „falsch“ ist.Beschreibungen halten den Raum offen für Klärung.

6.4 Wirkung benennen

Unangenehme Gespräche werden oft entkräftet, wenn nur das Verhalten, nicht die Wirkung thematisiert wird.

Beispiel:

  • „Als du gestern im Meeting meine Präsentation abgebrochen hast, war ich irritiert und habe mich vor den anderen bloßgestellt gefühlt. Seitdem bin ich unsicher, wie ich Beiträge einbringen kann.“

Damit wird nicht nur „Fehlverhalten“ angesprochen, sondern auch die Beziehungsdimension sichtbar gemacht.

6.5 Anliegen formulieren

Klar, konkret, auf Zukunft gerichtet:

  • „Ich wünsche mir, dass wir Kritik unter vier Augen klären.“

  • „Ich brauche, dass wir uns in solchen Situationen kurz abstimmen, bevor du entscheidest.“

  • „Für die Zusammenarbeit ist mir wichtig, dass…“

Wichtig: Es geht nicht darum, den anderen zu „erziehen“, sondern die Bedingungen für tragfähige Zusammenarbeit oder Beziehung transparent zu machen.

6.6 Raum für Reaktion lassen

Das Gegenüber braucht die Möglichkeit, zu:

  • erklären,

  • einzuordnen,

  • zu bestätigen,

  • zu widersprechen.

Unangenehme Gespräche werden nur dann produktiv, wenn sie Dialog, nicht Monolog sind.


7. Innere Arbeit: Ohne Selbstkontakt wird jedes Gespräch zur Technikübung

Die besten Gesprächsstrukturen helfen wenig, wenn innerlich alles im Alarmmodus ist. Ein profundes Arbeiten an unangenehmen Gesprächen hat immer eine innere Dimension.

7.1 Eigene Emotion regulieren
  • Was löst das Thema in mir aus?

  • Bin ich gerade im Angriffsmodus, im Rückzugsmodus, in Scham, in Wut?

  • Was brauche ich, um aus einer einigermaßen stabilen Position zu sprechen?

Das Ziel ist nicht völlige Neutralität, sondern ein Zustand, in dem ich sprechen kann, ohne zu explodieren oder zu implodieren.

7.2 Selbstempathie

Klingt weich, ist aber hochwirksam: Sich selbst zuzugestehen, dass das Gespräch schwierig ist, reduziert inneren Druck.

Statt: „Reiß dich zusammen!“eher: „Es ist logisch, dass mir das schwerfällt – und trotzdem ist es wichtig.“

7.3 Anerkennen, dass es keinen perfekten Moment gibt

Ein Teil der Vermeidung beruht auf der Illusion: „Irgendwann ist die Situation ideal und dann…“Realität: Unangenehme Gespräche sind nie bequem.

Die Frage ist nicht „Wann fühlt es sich gut an?“ sondern: „Wann ist es verantwortlich und ausreichend vorbereitet?“


8. Der tiefere Punkt: Warum die Fähigkeit zu unangenehmen Gesprächen ein Reifekriterium ist

Wer unangenehme Gespräche führen kann,

  • übernimmt Verantwortung,

  • schützt sich und andere vor schleichender Erosion,

  • ermöglicht echte Entwicklung statt Schönwetter-Kommunikation,

  • trägt dazu bei, dass Beziehungen und Organisationen realitätsfähig bleiben.

Es geht letztlich um eine reife Haltung:

Ich bin bereit, Spannung auszuhalten, um etwas anzusprechen, das wichtig ist –für mich, für dich, für das System.

Diese Fähigkeit entsteht nicht über Nacht, aber sie ist trainierbar. Mit jeder Erfahrung, dass ein solches Gespräch nicht den befürchteten Zusammenbruch auslöst, wächst die innere Zuversicht.


Zusammenfassung

„Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll“ heißt selten, dass jemand keine Worte hat. Es heißt fast immer, dass jemand spürt, wie viel auf dem Spiel steht – und noch Unterstützung braucht, um innere Klarheit, emotionale Stabilität und eine tragfähige Struktur für dieses Gespräch zu finden. Genau dort beginnt professionelle Begleitung: Nicht mit plakativen Sätzen, sondern mit der Arbeit an der inneren und äußeren Architektur dieser schwierigen, aber entscheidenden Momente.


systemisches Coaching
1 Std. 30 Min.
Jetzt buchen

 
 
 

Kommentare


bottom of page